Eine verregnete Etappe und ihr Regenbogen
Über das Wetter darf sich die Biathlon-Tour 2023 wirklich nicht beklagen. Ja, es gab durchwachsene Etappen in Gevelsberg, Schramberg oder Gera, doch verzichtbare Regenetappen gab es in diesem Jahr bisher nicht. An diesem ersten November-Sonntag, den die Tour schon traditionell in Wittlich, dem gepflegten Einkaufsstädtchen in der Moseleifel, verbringt, spielt die Witterung nun doch einmal den Spielverderber und macht den verkaufsoffenen Sonntag zu einer nassen Angelegenheit. Während wir in den Vorjahren stets positiv überrascht waren von dem Besucherandrang, so bleibt die Altstadt heute doch sehr viel leerer als gewohnt. Doch ein “Regenbogen” begleitet diese Etappe vom späten Mittag bis in die schon finstere letzte Eventstunde, denn manche Biathlon-Tour-Fans der bisherigen 5 Etappen hier in Wittlich kommen uns heute besuchen und haben so viel sportliche Motivation mitgebracht, dass wir zwischen 14 und 18 Uhr nahezu durchgehend Wettkämpfe starten können. Gleich 17 Wettkämpfende begnügen sich nicht mit einem Start, sondern versuchen sich mehrfach daran, die Etappenspitze zu erklimmen. Die Ehrgeizigsten unter ihnen werden am Ende bis zu sechs Mal um den Sieg gekämpft haben und “schreiben” dieser Etappe ein so spannendes Drehbuch, das wahrlich mehr Publikum verdient gehabt hätte. Doch der Regenbogen macht seine Schönheit nicht von der Anzahl Augen abhängig, die ihn erblicken.
Lebendiger Marktplatz-Biathlon in vertrauter Runde
So können wir dem Wittlicher Stadtmarketing und seiner neuen Vorsitzenden, Chrysanthi Ntafopoulou, zwar nicht das Biathlon-Spektakel aus den Vorjahren mit zahlreichen Zuschauern bieten und statt der hier üblichen rund 500 Schnupperschützen sind es heute eher 250 Neugierige an den Biathlongewehren, doch die Anzahl der Wettkämpfe und Wettkämpfenden trotzt dem Regentag und so erleben die Besucher der Wittlicher Altstadt den Marktplatz dennoch als lebendige Biathlonarena mit einem kurzweiligen Wettbewerb um den Etappensieg und den Siegerpreis der Reise zum Tourfinale in den Biathlon-Weltcup-Ort Oberhof am 24./25.2.2024. Gleich 15 Wettkämpfende schaffen im Tagesverlauf ein Ergebnis mit 4 oder 5 Treffern. Das ist aus sportlicher Sicht ein ausgezeichnetes Ergebnis. Zum Vergleich: 2019 schafften hier in Wittlich 8 Wettkämpfende ein Ergebnis mit 4 oder 5 Treffer, 2022 waren es 12. Die Besten des Tages stellen wir im Folgenden vor.
Zielsichere Damen
Wenn wir für das Tourjahr 2023 eine passende Überschrift finden müssten, dann vielleicht jene über die zahlreichen Damensiege in Duellen mit schnelleren Männern. Der Tourmodus – Treffer vor Zeit – macht es den Damen möglich, die vorauseilenden Männer mit ruhiger Hand wieder einfangen und überholen zu können. So macht es etwa Sarah Eberl (im oberen Bild rechts unten), die ihren schnellen Mann, Markus, mit 3:2 Treffern aus dem Biathlonhimmel zurückholt. Ein solcher Sieg gelingt Carina Kurzenberger (oberes Bild unten links) zwar nicht, weil Michael Böhm im Duell gleich mal eine Top10-Leistung vorlegt (2:43 Minuten und 4 Treffer; Platz 8) aber ihre 3 Treffer machen Carina zur viertbesten Wettkämpferin des Tages. Zweitbeste Dame des Tages wird Annika Bauer (oberes Bild oben rechts). 4 Treffer mit ihren 5 Schüssen bringen sie auch in der Gesamtrangliste unter die besten 15. Noch besser ist heute nur Klara Andres (oberes Bild oben links). Die junge Turnerin wird für ihre Motivation belohnt, nach ihren 3 Treffern und 4:18 Minuten einen zweiten Start zu wagen. Dort zeigt sie schnelle Lernfähigkeit und verbessert sich sowohl bei der Treffsicherheit, wie auch beim Tempo über die 400m Skilanglauf und schließlich holt sie noch Zeit durch einen schnelleren Schießrhythmus heraus. Am Ende stehen starke 3:21 Minuten und 4 Treffer. Das Shootingstar-T-Shirt hat sie sich zweifellos verdient.
Die treuesten Wettkämpfer kommen aus Sibirien
Kürzlich fragte ein Redakteur, ob uns die langjährig “eingespielten” Etappen lieber seien als Premierenveranstaltungen? Die Frage war nicht mit ja oder nein zu beantworten. Junge, neue Etappen haben vielleicht ein pochenderes Herz. Die Wettkämpfer und Schaulustigen wissen eben so wenig was auf sie zukommt, wie wir. Das können dann wunderbare Tage werden, wie in Gevelsberg, Schramberg, beim Rennsteiglauf, in Oberhof, Gera oder Rotenburg a.d.Fulda. Doch sie alle können keine Geschichte hervorbringen, wie diese in Wittlich mit den beiden sympathischen Brüdern aus Sibirien, Walter und Jakob Schaubert. 2016 lernten wir sie hier bei unserer Premiere auf dem Wittlicher Marktplatz als Teilnehmer kennen. Walter erzählte uns von seiner Kindheit und Jugend in Sibirien, von seinen Biathlonwettkämpfen als kleiner Bub und vom Leben in Eis und Schnee. Walter gehörte 2016 zu den Besten des Etappentages. Seither verpassten die beiden keine einzige der 6 Etappen auf dem Wittlicher Marktplatz und stets schaffte mindestens einer der Beiden einen Top10-Platz. 2018 erreichte Jakob als Etappenzweiter beinahe die Finalqualifikation, im Vorjahr gewann dann wieder Walter das Bruderduell und wurde Etappenvierter. Nun kennen wir die beiden schon 7 Jahre lang und der Biathlon-Bub wird in 2 Monaten in Rente gehen. Vielleicht ergibt sich daraus auch die Möglichkeit, mal wieder im Eis und Schnee der Heimat wie als Bub zu spielen? Von ihrer Fitness haben sie jedenfalls bis hierher nichts eingebüsst, auch wenn es heute für die beiden am Biathlongewehr nicht so gut läuft, wie sonst. Und auch Jakobs Sohn, Dennis, kann die TOP10-Serie der Schauberts heute nicht verteidigen holt aber mit 2:05 Minuten und 3 Treffern als 16. der Tageswertung heute den Familiensieg. Geschichten wie diese zu den Sibirischen Brüdern bilden das Herz der Biathlon-Tour, ohne dass man nicht voller Motivation am Ende des 8 Tourjahres mit viel Vorfreude das 9. vorbereiten könnte.
Momente des Sonnenscheins
Auch die nächsten 3 Wettkämpfer sind “alte Bekannte”. Und dass zu dieser Challenge sogar der Himmel aufreist und sich für wenige Momente die Sonne zeigt, kann wirklich auch symbolisch betrachtet werden. Wie viel Freude hat uns Moritz Tömmes (im schwarzen T-Shirt) mit seinen Leistungssteigerungen bei der Wittlich-Etappe 2019 gemacht. Damals bekam er zunächst weder die Doppelstocktechnik auf den Skilanglauf-Cardiogeräten noch das Treffen am Biathlongewehr sonderlich erfolgreich hin. Doch anstatt mit einem Schulterzucken weiter shoppen zu gehen groovte sich der ehrgeizige Koch in die Challenge rein und legt danach den fast perfekten Biathlon hin, der ihn seinerzeit bis auf Platz 4 nach vorne brachte. Solche lernfähigen und motivierten Wettkämpfer wie Moritz sind für uns wahrlich Sonnenschein. Heute verbessert er seine Leistung von 2019 um weitere 22 Sekunden. Der einzige Wermutstropfen dabei: Mit 4 Treffern ist es “nur” der fast perfekte Biathlon für Moritz. 2016 Minuten und 4 Treffer bringen ihm Platz 5 in der Tagesrangliste. Ein tolles Resultat und wir hoffen, dass der enttäuschte Moritz die Sonne in seinem Ergebnis sehen kann.
Das gilt nicht weniger für Helmut Dusemund. 2018 holte der Bogenschütze des PSV Wengerohr beim Biathlon in Wittlich den 9. Platz. Heute stellt sich der 73-Jährige gleich drei Mal dem Wettkampf. Das ist erstaunlich. Manche 40-Jährige lehnen den Wettkampf mit den Worten ab: “doch nicht mehr in meinem Alter”. Und dieser fitte und jung gebliebene Rentner lässt sich noch “packen” von der Herausforderung. Da scheint sie wieder, die symbolische Sonne. Helmut wird für seinen 3. Anlauf belohnt und verbessert sich von 3 auf 4 Treffer. Ganz ohne Wermutstropfen bleibt’s aber auch bei ihm nicht. Nach 4 Treffern hat er die Gelegenheit mit seinem letzten Schuss die Etappenführung zu erreichen. Aber exakt wie 2018 wird dieser 5. Schuss bei ihm zum Verflixten. Mit Platz 13 am heutigen Tag wird Helmut locker Seniorenmeister dieser Etappe und für noch mehr sehen wir ihn hoffentlich 2024 auf dem Wittlicher Marktplatz wieder.
Zwei schnelle Newcomer
Mit viel Kraft und einer ziemlich ruhigen Hand holt sich Maximilian Riemer (oberes Bild rechts) am späten Mittag die Führung. Seine 2:11 Minuten sind, auch im Vergleich mit den anderen Etappen 2023, durchaus “Etappensieger-verdächtig”, doch die gute Nachricht für alle Biathlon-Jäger die noch kommen: Maximilian erreicht die Führung mit 4 Treffern. Wer den kräftigen Wittlicher hinter sich lassen möchte muss nun also entweder sehr schnell oder fehlerlos treffsicher sein. Im Idealfall natürlich beides.
Auf dem Weg zum “Idealfall” ist Thomas Kreuder (oberes Bild links). Der Universalsportler des SV Lüxem, dort erfolgreich als Fußballer, Tenniscrack und Läufer, glänzt auch an der Biathlonarena mit einem kraftvollen 400m Skilanglauf und bringt danach seine ersten 4 Schüsse ins Ziel. Mit seinem letzten Schuss hat er die Führung schon vor Augen, doch einen Augenblick später ist die Hoffnung dahin. Ein Miniwackler vereitelt Platz 1 und Thomas muss mit 2:17 Minuten und 4 Treffern vorerst mit Platz 2 vorlieb nehmen. Der ehrgeizige Sportler versucht es noch weitere zwei Male und schafft sogar 2:08 Minuten, jedoch auf Kosten der Treffsicherheit. Es werden 3 Treffer. Am Tagesende erreicht Thomas den 7. Platz.
3 Meisterschützen arbeiten am Drehbuch des Etappentages
2019 kam der Luftgewehrschütze der Schützenbruderschaft Salm, Marcel Schicke (oberes Bild, oben links am rechten Gewehr), erst ganz am Schluss der Etappe und bereits in der Finsternis auf den Wittlicher Marktplatz, schaffte damals als Einziger von 50 Wettkämpfern das fehlerlose Schießen und holte sich sozusagen Last Minute den Etappensieg. Seine Taktik damals: Lange Erholungspausen vor den Schüssen. Erfolg bringt die natürlich nur dann, wenn den schnellen Wettkämpfern das fehlerlose Schießen nicht gelingt. Und genau diese Ausgangslage findet Marcel auch heute vor. Also greift der Gerolsteiner Orthopädie-Schuhmacher auf Bewährtes zurück und nach 3:51 Minuten seines Wettkampfes scheint sich Geschichte zu wiederholen. Marcel übernimmt die Etappenführung mit dem ersten fehlerlosen Schießen des Tages, obwohl fast alle Wettkämpfer eine schnellere Zeit erzielten als er. Wird ihn die Konkurrenz erneut mit dieser “Sicherheitsvariante” zum Ziel kommen lassen?
So einfach kommt der Champion von 2019, der seinerzeit beim Tourfinale in Ruhpolding ganz authentische Biathlonluft schnappen konnte, dieses Mal nicht durch. Dafür sorgt der junge Metzger von der Mosel, Tim Lauterbach (oberes Bild rechts). Der 20-Jährige aus Piesport bringt weder Wettkampfsport- noch Schießerfahrung mit, hält sich im Alltag lediglich mit etwas Fahrradfahren fit, aber hier an der Biathlonarena zeigt er sportliche Motivation und schnelle Lernfähigkeit, als er nach 2:48 Minuten und 4 Treffern einen erneuten Anlauf nimmt und seinen zweiten Wettkampf nach 3:17 Minuten fehlerfrei beendet. Doch jetzt geht es Schlag auf Schlag. Gerade erklären wir Tim den Siegerpreis, die Reise zum Tourfinale nach Oberhof am 24./25. Februar 2024 da ist die Etappenführung schon wieder futsch. “Spielverderber” ist Marco Koch (oberes Bild unten links). Der Heizungsbauer von der Mosel hatte seine “Visitenkarte” bei der Biathlon-Tour bereits bei der 1. Etappe dieses Jahres im März in Mülheim-Kärlich abgegeben, als er starke 2:14 Minuten und 5 Treffer hinlegte, jedoch am Ende mit Platz 2 vorlieb nehmen musste. Ziemlich genau 8 Monate später ist er mit jenem grünen Pulli wieder am Start. Wird der Vize-Pulli nun zum Sieger-Pulli? Marco lässt keinen Zweifel aufkommen, dass genau das sein Ziel ist und beendet seinen perfekten Wettkampf nach 2:29 Minuten. Sehr stark! War das schon das letzte Wort für heute?
Drei, die den Regenbogen auf den dunklen Wittlicher Marktplatz zaubern
Es war noch lange nicht das letzte Wort. Die letzte Etappenstunde bringt spannende Duelle zwischen den 3 Besten des Tages. Kann sich Tim Lauterbach seine Führung zurückholen? Zwischen seinen 3:17 Minuten mit 5 Treffern bis zu Marco Kochs 2:29 Minuten mit 5 Treffern liegen allerdings “eine Welt”. Der junge Piesportler versucht es und jetzt wird es tatsächlich magisch auf dem dunklen Wittlicher Marktplatz. Tim Lauterbach verwandelt nach 2:18 Minuten seinen 5. Schuss und holt sich mit 11 Sekunden Vorsprung die Führung zurück. Damit verbessert sich der 20-Jährige um nahezu eine volle Minute. Phantastisch.
Doch Marcel Schicke ist anzusehen, dass er noch fest an den Etappensieg glaubt. Wir sind gespannt, ob er solche schnellen Wettkämpfe drauf hat. Bisher reichten ihm ja Wettkämpfe mit angezogener Handbremse. Nun löst er die Bremse, und wie! 2:16 Minuten. Diese Zeit würde zur Etappenführung gerade reichen, doch dem Meisterschützen unterläuft bei seinem maximal schnellen Schießrhythmus ein Schießfehler. Etappenführung um Millimeter verpasst.
Kurz vor Etappenende treten die 3 nochmals gegeneinander an. Dieser Moment hätte wahrlich zahlreiche Zuschauer und tolle Biathlonstimmung verdient. Die 3 Besten jagen durch die Loipe. Tim kommt einige Sekunden vor Marco und Marcel ans Biathlongewehr. Die letzten Schüsse dieses Tages werden die Entscheidung bringen. Und als wolle er letzte Zweifel im Sturm auflösen wählt Tim Lauterbach den maximal schnellen Schießrhythmus. Ein grüner Punkt nach dem nächsten leuchtet auf und nach 1:59 Minuten schafft der Etappenführende seinen dritten fehlerlosen Wettkampf des heutigen Tages und holt mit der siebtbesten Leistung aller Tour-Wettkämpfer 2023 den Sieg beim 6. Wittlicher Citybiathlon. Herzlichen Glückwunsch. Hochachtung aber auch für die Verfolger, Marco Koch, Marcel Schicke und alle zuvor hier erwähnten. Mit ihrer tollen Motivation haben sie diesem grauen und nassen Wittlicher Novembersonntag Farbe und sportliche Lebendigkeit geschenkt!
Mit dem Sieg von Tim Lauterbach endet der Wittlicher Biathlon-Tag. Tim gewinnt die Reise zum Tourfinale nach Oberhof am 24./25. Februar 2024 und wird dort in der Oberhofer Skihalle gegen die Etappensieger der anderen Tourstädte um den Toursieg kämpfen.
Die Biathlon-Tour sagt herzlich Dankeschön bei allen Wettkämpfenden des Tages, die sich vom Regen nicht aufhalten liessen und sogar mit Extraportionen an Motivation zu einem höchst lebendigen Event beitrugen. Der abschließende Dank gilt dem Gastgeber des Tages, dem Wittlicher Stadtmarketing, der scheidenden Vorsitzenden, Claudia Jacoby und ihrer Nachfolgerin, Chrysanthi Ntafopoulou, für die große Treue zur Biathlon-Tour und einmal mehr unkomplizierte und effektive Organisation. Über eine Rückkehr am ersten November-Sonntag 2024 würden wir uns sehr freuen!
Bilder: Siegward Pein Wettkämpferbetreuung: Gisela und Marco Feulner Social Media-Betreuung: Lena Bremer und Marvin Meisel Text und Moderation: Martin Bremer