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Heuwagen-Biathlon und Ernte für 14-Jährige

Wo ist Much? Die nördlichste Gemeinde des Rhein-Sieg-Kreises liegt rund 30 km östlich von Köln im Naturpark Bergisches Land. An diesem 1. Sommerwochenende fühlt man sich hier im besten Sinne in die frühen 70er-Jahre zurückversetzt, als das “Spiel ohne Grenzen” seinen Siegeszug im TV feierte. Hier heisst das Spektakel “Heufresser-Spiele”. Dieses aufwändig gestaltete Mucher Volksfest findet im 2-Jahresturnus statt und man gewinnt den Eindruck, die ganze Gemeinde ist an diesem Sonntag versammelt, um den 8 Teams an 10 Stationen bei ihren Wettkämpfen zur Seite zu stehen. Die Spielideen bleiben stets dem Thema “Heu” und damit der Mucher Heufresser-Legende verpflichtet und lesen sich nicht nur kreativ, wie “Sautrogrennen”, Hangeln über den Teich, Pull the bull, sondern werden von dem großen Organisationsteam um Falko Hartmann erfreulich durchdacht und spannend inszeniert. Beim 6. Wettkampf, “Hasen schießen” werden die Heufresser-Gladiatoren zur Biathlonstaffel. Hunderte Schaulustige erwarten die Heuwagen-ziehenden Teams am Stand der Biathlon auf Schalke-Tour, wo jeder aus dem fünfköpfigen Gespann einen Schuß beiträgt. Die enge Strafrunde pro Fehlschuss lässt nochmal die Achsen der Heugefährte knarzen, bevor die Sieger der 4 Duelle feststehen.

Die Biathlon auf Schalke-Tour ist an diesen beiden Wochenendtagen nicht nur Schauplatz der Heuwagen-Biathlonstaffel, sondern empfängt bereits am Samstag im Festzelt die Kirmesbesucher zum 1. Etappentag und steht am Sonntag auf dem Gelände der Heufresser-Spiele allen Besuchern zum Mitmachen zur Verfügung. 81 Wettkämpfer starten in die Biathlonduelle um den Etappensieg und die Qualifikation zum Tourfinale am 28.12. auf Schalke und – erstmals bei der Tour 2017 – steigt, nach 13 Männern, nun eine junge Dame auf den Etappenthron. Doch der Reihe nach.

Der 1. Tag auf der Mucher Heufresser-Kirmes

am Kirmessamstag bekommt die Biathlon auf Schalke-Tour den exklusiven Platz im Festzelt. Es stellt sich als nicht so einfach heraus, den ca. 1000 kg schweren Touranhänger über die gar nicht so dicken Holzplatten zu seinem Bestimmungsort zu ziehen. Zum Glück hat die Biathlon-Tour in Hartmut Wächter einen eventerfahrenen Aufbauleiter. Mit eiligst organisierten, zusätzlichen Bodenplatten wird das Gewicht verlagert und cm für cm rückt der Anhänger seinem Zielort näher. (Fotos: Fehlanzeige :-)

Herzlichen Dank an dieser Stelle bei den beiden Organisatoren, Wolf-Günter Opolka von der Gemeinde Much, der als Koordinator der Kirmes-Tage höchst selbst das Festzelt von den Spuren des Vorabends befreit und beim Moderator der Heufresser-Spiele, Hartmut Erwin von Much Marketing, der sich schon in den Wochen vor der Etappe um das Marketing (Flyerverteilung und Plakatwerbung) verdient machte und die Jungschützen des lokalen Schützenvereins, St. Martinus Much, als zusätzliche kompetente Betreuer motivieren konnte. Und diesem Jungschützenteam um “Schützenmutter” Elisabeth Spiegelhoff und Trainerin Sophia Murazzo (beide im Bild oben im Thoraxtrainer-Duell) gilt unser besondere Dank für die engagierte Mithilfe an der mobilen Biathlonarena.

Bunt gemischte Wettkämpferschar

Wie so oft bei der Biathlon auf Schalke-Tour begrüßen wir an diesem 1. Etappentag sämtliche Generation vom 8 bis 80-Jährigen an der Biathlonarena und freuen uns, dass Schützenmutter Elisabeth mit ihren immerhin 68 Jahren in den Wettkampf geht, dabei nicht nur durchhält, sondern als 24. von 81 Startern sogar einen tollen Erfolg erzielt. 4 Treffer mit ihren 5 Schüssen sind Garant für den Erfolg. Fast 80-jährig, aber so sympathisch jung geblieben, ist der ehemalige Schützenkönig und Schützenkaiser, Hermann Opolka. Obwohl ihn das Augenlicht nurmehr erahnen lässt, ob das Ziel in der Mitte des Ringkorns liegt, testet er neugierig die Infrarot-Biathlongewehre und nach etwas Übung schafft er tatsächlich 5 Treffer mit seinen 5 Schüssen. Alle Achtung!

Der Schnellste des 1. Tages, Sascha Hirmer (im Bild oben, untere Zeile, mitte), gewinnt das Duell gegen seinen Bruder Mario in 2:15 Minuten mit 4 Treffern, Mario schafft 3 Treffer. Sascha wird am Ende hinter den 7 fehlerlosen Schützen dieser Etappe Achter. Im Eheduell gewinnt Alexander mit 4:3 Treffern gegen Astrid Bell (im Bild oben, rechts, mitte). Im Freundinnen-Duell gewinnt Lara gegen Emilia (im Bild oben, rechts, unten) mit 3:2 Treffern

Die 4 fehlerlosen Schützen des 1. Tages

Vierte nach dem 1. Tag ist die Trainerin der Jungschützen, Sophia Murazzo (im Bild rechts), mit 6:34 Minuten und 5 Treffern. Die ausgezeichnete Schützin zahlt Lehrgeld bei ihrem Biathlondebut. Sie wartet mit dem Schießen nach der Belastung etwas zu lange und erlebt die berüchtigte “Nähmaschine”. Damit wird das einsetzende Zittern beschrieben, das die Biathleten befallen kann, wenn sie/er den Puls unter ca. 120 Schläge absinken lässt. Erstaunlich, dass Sophia doch noch fehlerfrei schießt, aber ihre 6:34 Minuten  sind mehr als doppelt so lang im Vergleich mit ihrem Wettkampf am folgenden Tag, bei dem sie in 2:51 Minuten jedoch 2 Fehlschüsse hinnehmen muss. Sophia wird in der Gesamtwertung beider Tage Siebte.
Den 3. Platz nach dem 1. Tag belegt der Jungschütze von St. Martinus Much, der 15-jährige Jerome Strauß, mit 3:56 Minuten und 5 Treffern. Jerome ist erst seit wenigen Wochen im Training der Jungschützen dabei und bringt viel Talent mit. Sogar das Schießen nach der 400 m-Belastung auf dem Thoraxtrainer gelingt ihm fehlerlos. Bei 2 schnelleren Versuchen wollen ihm die 5 Treffer an diesem Wochenende jedoch (noch) nicht gelingen. Jerome wird Gesamtsechster.
Zweiter des 1. Tages ist der 45-jährige Overather Yves Keicher mit 2:51 Minuten und 5 Treffern. Yves kommt nach Geschäftsschluss vom gegenüberliegenden Supermarkt ins Kirmeszelt. Der Rewe-Mitarbeiter und Hobbysportler (Laufen und Tennis) hat sichtlich Spaß daran, auf dem Thoraxtrainer in Bewegung zu kommen und macht danach auch am Biathlongewehr alles richtig. Yves wird Fünfter der Etappe.
Yves Wettkampfgegner, Biathlonfan Olaf Strathaus aus Nümbrecht, führt in 2:26 Minuten mit 5 Treffern die Etappe nach dem 1. Tag an. Der 43-jährige Familienvater ist gemeinsam mit Sohnemann, Moritz, an der Biathlonarena. Biathlon schaut er oft im Fernsehen und bewundert den gleichaltrigen Ole-Einar Björndalen, der selbst in diesem fortgesetzten Alter die Qualität erreicht, mit der deutlich jüngeren Biathlonelite mitzuhalten und sie hin und wieder noch alle hinter sich zu lassen. Das gelingt Olaf an diesem 1. Tag mit seinen 40 Gegnern beim Jedermann-Biathlon auch. In der Gesamtwertung beider Etappentage belegt er Platz 3. Sohn Moritz (12 Jahre alt), der an diesem Tag bereits ein Fußballspiel “in den Beinen” hat, zeigt mit 4 Treffern in 5:09 Minuten und Platz 22 ebenfalls sein Biathlontalent.
Das Tourteam zeigt seine sportlichen Qualitäten erst nach dem letzten Wettkämpfer des 1. Tages. Abbau der Arena im Festzelt, Umzug auf das Gelände der Heufresser-Spiele und Wiederaufbau unter (nicht ganz) freiem Himmel, der sich am Sonntag als durchaus launisch erweisen sollte.

Der Heufresser-Festtag

Ohne Heu geht hier heute nichts. Also wird auch die Biathlonarena mit einigen Ballen aufgehübscht. Am Sonntagmorgen kommen nach und nach die 8 Teams und trainieren für ihren Einsatz am Nachmittag. Für die sportlichen jungen Männer der Gemeinde scheint es eine Ehrensache zu sein, als Heufresser an den Start zu gehen. Rasch zeigt sich, die Teams sind ordentlich motiviert. Viele üben minutenlang, obwohl ja jeder später nur einen einzigen Schuß haben wird. Da ist viel Spaß mit dabei. Gut so.

Ab spätem Mittag wird es voller. Die Gemeinde ist auf den Beinen, die gegenüberliegende Kirmes verbreitet Partystimmung und die Heufresserteams erhalten von Falko Hartmann an der Biathlonarena letzte Infos zum Ablauf.

Der Kampf um den Etappensieg geht weiter

Neben Heufresserspielen und dem Kampf um den Etappensieg soll natürlich auch der Spaß für diejenigen nicht zu kurz kommen, die den Wettkampf scheuen, jedoch gerne mal das Schießen ausprobieren möchten. Mancher Schnupperschütze holt sich auch zunächst beim Schießen das Selbstvertrauen, um dann doch in den Sprint-Biathlon aus 400 m Skilanglaufsimulation und 5 Schüssen Stehendschießen zu gehen.

Den Anfang machen wieder die Jungschützen

Die beste Wettkämpferin des Vortages, Jungschützentrainerin Sophia Murazzo, ist am Sonntag die erste, die wieder ins Biathlonduell gehen möchte. Dafür hat sie sich eine spezielle Gegnerin ausgesucht: Ihre Schwester Alessandra. Und Alessandra macht ihre Sache ausgezeichnet, treibt ihre Schwester zu einem deutlich schnelleren 400 m-Rennen. Während der gestern fehlerlosen Sophia nun in 2:51 Minuten 2 Fehlschüsse passieren, setzt Alessandra mit 4 Schüssen 4 Treffer. Mit dem nächsten Treffer kann sie ihre Schwester in der Gesamtwertung überholen, doch mit diesem letzten Schuss verfehlt sie das Ziel und wird in 3:18 Minuten mit 4 Treffern 17.

Und noch eine starke Frau: Karola Schmitz (im nebenstehenden Bild jubelnd) hat soeben das Duell mit ihrem Mann, Tasso, mit 4:3 Treffern gewonnen und dabei in 2:44 Minuten eine außergewöhnlich gute Zeit erreicht. In der Gesamtwertung schafft Karola den 11. Platz.

Der Jäger mit dem stolzen Papa

Ein Duell Schwester gegen Bruder liefern sich Ricarda und Roman Schlimbach. Der kräftige Roman ist auf dem Thoraxtrainer deutlich schneller als seine Schwester und wechselt knapp unter der 2-Minuten-Marke ans Biathlongewehr. Erst später erzählt uns der stolze Papa, dass alle drei Stimbachs Jäger sind. Den 21-jährigen Roman sollten die Mucher Jäger beim Hasenschießen einsetzen. Roman ist der erste fehlerlose Schütze des Tages und legt sich mit 2:38 Minuten vorübergehend auf Platz 3. Vater Stimbach hatte auf der TV-Etappenrangliste gesehen, dass Roman mit seinem Ergebnis den Jägerkollegen,  Sascha Hirmer, hinter sich gelassen hat und tippt sofort die sms an den Kollegen. Dabei verpasst er fast, dass Tochter Ricarda mit 4 Treffern in 4:27 Minuten ebenfalls ein starkes Ergebnis erzielt.

Jetzt wird es richtig schnell in der “Loipe”

Die Etappe nimmt Fahrt auf. Zwei, die auf dem Thoraxtrainer auf “Etappensieger-Tempo” kommen, sind Lucas Schult (schwarzer Anzug) und Thomas Diez (weisses Hemd). Erstaunlich, wie Lucas in Anzug und Krawatte die 400 m in 95 Sekunden absolviert, der drittbesten Laufzeit an den beiden Tagen. Seine 2:12 Minuten hätten für die Etappenführung gereicht, doch 2 Fehlschüsse werfen Lucas bis auf Rang 26 zurück. Besser macht es Thomas, der nur wenige Sekunden langsamer läuft und in 2:21 Minuten schneller als der Führende, Olaf Strathaus, ist, doch ein kleiner unachtsamer Moment mit einem Fehlschuss bedeutet Platz 9 statt 1.

Lucas und Thomas hatten Spaß im Biathlonduell und kommen wenig später mit Rainer und Markus Fröhlking zurück. Natürlich gehen die beiden Brüder ins Biathlonduell und, wie schon bei Lucas und Thomas, so hat auch im Bruderduell der etwas Langsamere am Ende die Nase vorne, und wie! Während der schnelle Rainer (im Bild mit Hut) vielleicht etwas zu schnell schießt und bei 2 Treffern stehen bleibt, schafft Markus nicht nur ein fehlerfreies Schießen, sondern bleibt in 2:25 Minuten eine Sekunde unter Olaf Strathaus’ Bestzeit vom Vortag und übernimmt die Etappenführung.

Mit Geduld und großer Lernfähigkeit zum Etappensieg

Es ist nun fast genau ein Jahr her, da lernte die damals 13-jährige Jana Harmeling die Biathlon auf Schalke-Tour bei der Etappe in ihrer Heimatstadt Borken kennen.

Jana und Dirk vor einem Jahr in Borken

Im Duell mit ihrem Papa, Dirk, überraschte uns die junge Dragonboatruderin gleich mit 4 Treffern.

Dirk wurde seinerzeit Zweiter und fuhr mit der Familie drei Wochen später zur Touretappe nach Warendorf, um für seine Tochter und sich die VIP-Tickets für den Biathlon auf Schalke zu gewinnen. Doch den Etappensieg in Warendorf holte Jana und ließ dabei 120 Wettkämpfer hinter sich. Jana setzte dieser bereits unglaublichen Geschichte dann die Krone auf, als sie im Tourfinale der Etappensieger auf Schalke unter den 40 besten der Tour 2016 den 2. Platz erkämpfte und dabei mit ihren 15 Schüssen 15 Treffer erzielte.

Jana beim Tourfinale auf Schalke

Wer will es ihr verdenken, dass sie auch in diesem Jahr als Etappensiegerin beim großen Finale auf Schalke wieder dabei sein möchte. 8 Anläufe nahm sie bisher bis zur 14. Etappe in Much und zeigte dabei stets weitere Leistungsverbesserungen, doch zu einem Etappensieg wollte es 2017 bisher nicht reichen. Heute in Much zieht Jana mit ihrem unnachahmlichen Stil die Blicke der Heufresserfest-Besucher auf sich. Ihr typisches Lächeln auf den Lippen, der wehende Zopf, die hohe Frequenz der Stockschübe, bei der man fast reflexartig warnen möchte:”vorsicht, das Rennen ist nicht 100 m sondern 400 m lang”. Doch die sportliche Münsterländerin, die in ihrem Dragonboat die jüngste ist und auch wettkampfmäßig Handball spielt, hält das Tempo scheinbar mühelos durch. Nach 1:45 Minuten wechselt Jana ans Biathlongewehr und sorgt dort für noch mehr Verblüffung. Sie benötigt nahezu keine Pause vor dem ersten Schuss. Jugendlicher Leichtsinn könnte man denken, doch sie bringt selbst diese ersten Schüsse ins Ziel, wenn sie noch mitten in der Verschnaufphase ist. Keiner, der bisherigen 13 Etappensieger

Markus Fröhlking auf dem linken Thoraxtrainer

2017 schießt einen derart schnellen Rhythmus, wie Jana. Nach 2:10 Minuten beendet Jana das Duell mit 5 Treffern und setzt sich mit 15 Sekunden Vorsprung vor Markus Fröhlking an die Etappenspitze. Es ist die 11.-beste Leistung der bisher 850 Wettkämpfer 2017 und wird an diesem Tag in Much von keinem Wettkämpfer mehr erreicht. Wir gratulieren dem großen Sporttalent zu ihrer erneuten Qualifikation zum Tourfinale am 28.12. auf Schalke, möchten aber auch den Zweitplatzierten, Markus Fröhlking, als Finalteilnehmer und Ehrengast der VELTINS-Arena einladen

Der Heuwagen-Biathlon

In 4 Duellen rasen die 8 Heufresser-Teams mit 5 MS den Berg hinunter und nehmen die Linkskurve in Richtung Biathlonarena. Wie sollen die mächtig aufgedrehten Wettkämpfer nun rasch zur Ruhe kommen, um mit ihrem Schuss Maßarbeit zu leisten? Am besten schaffen es die späteren Champions, die Heu-Räumer (grünes Dress). 4 der 5 Heuwagenantreiber bringen ihren Schuss ins 50 mm kleine Ziel, das 10 Meter von den Schützen entfernt ist. Mit nur einer Strafrunde holen sie sich einen der 4 Duellsiege und sammeln wichtige Punkte für den späteren Sieg beim Heufresserfest.

Und während in Much die Siegerehrung der Heufresser und die Kirmes noch weitergeht, verabschiedet sich die Biathlon auf Schalke-Tour von einer Gemeinde, die wir an diesem Sonntag liebgewonnen haben, wo kämpfende Männer von einem emphatischen Publikum wie Gladiatoren gefeiert werden und hunderte helfender Hände Gemeinschaftsgeist verbreiten. Wir sagen herzlich Dankeschön bei Much Marketing und der Gemeinde Much, insbesondere bei unseren Ansprechpartnern, Hartmut Erwin und Wolf-Günter Opolka für die gute Zusammenarbeit und natürlich auch beim “Ober-Heufresser”, Falko Hartmann, für dieses aussergewöhnliche Ambiente an diesem Sonntag. macht weiter so, lieber Mucher.

Bilder: Daniel Holtschneider      Text: Martin Bremer

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